FORUM EINE WELT

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Stolpern gegen das Vergessen

GEROLSTEIN. (git) Mit einem alternativen Stadtrundgang unter Führung von Karl-Heinz Böffgen, an dem mehr als 50 Interessierte teilnahmen, erinnerte der Verein Forum Eine Welt an die Juden, die vor dem Krieg in Gerolstein lebten und während der Zeit des Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden.

"Einträchtiges Miteinander": 50 Besucher nahmen am alternativen Stadtrundgang durch Gerolstein teil, bei dem Station auf dem Friedhof und an den Häusern, in denen früher jüdische Familien lebten, gemacht wurde.
Foto: Brigitte Redwanz

Mehr als 50 Interessierte - meist ältere Menschen, die zum Teil Zeitzeugen der Verfolgung waren - trafen sich zum 66. Jahrestag der Reichspogromnacht am jüdischen Friedhof in Gerolstein. Diese Parzelle erwarben jüdische Mitbürger 1894, um dort ihren Friedhof anzulegen. Genau 105 Jahre später, 1989, wurde der Friedhof zur Denkmalschutzzone erklärt.

Auf Deportation und Tod gewartet

Von hier aus startete der "Rundgang gegen das Vergessen" zu fast allen Häusern, in denen Gerolsteiner Juden lebten. "Es waren angesehene Bürger, die das Wirtschafts- und Vereinsleben der Stadt mit prägten. Gerolstein war die größte jüdische Gemeinde im Kreis Daun; Katholiken, Protestanten und Juden lebten einträchtig miteinander", sagte Böffgen.

Dies änderte sich ab dem Jahr 1933. Eine Flut antijüdischer und so genannter patriotischer Propaganda führte unter anderem dazu, dass die jüdischen Bürger bald von Gerolstein abgeschnitten wurden. "Ihre Häuser standen zwar im Ort, doch sie lebten wie außerhalb. Sie warteten in stummer Resignation, und im Jahr 1942 erkannten sie, dass sie auf Deportation und Tod gewartet hatten", zitierte Böffgen aus dem "Gerolsteiner Heft" von Christoph Stehr mit dem Titel "Gerolstein und seine jüdischen Mitbürger".

Erschüttert vom Schicksal der jüdischen Familien in Gerolstein ist auch Josef Müller (65 Jahre) aus Nohn: "Ich erinnere mich, dass Moritz Levy als Hausierer über Land zog. Ein Hund zerfetzte seine Hose. Meine Mutter reparierte sie ihm - heimlich, denn es war gefährlich, für einen Juden etwas zu tun." Moritz Levy wurde am 27. Februar 1943 deportiert und später von den Nazis ermordet.

Der Rundgang, vorbei an den Häusern und Schicksalen, wühlt auch Hildegard Otten (78 Jahre) aus Rockeskyll auf: "Ich lebte zur damaligen Zeit in Mönchengladbach und erinnere mich noch mit Schrecken an den nächtlichen Brand der Synagoge. So etwas darf nie wieder passieren."

Andrea Häfele (40 Jahre) aus Gerolstein hat drei Kinder und mahnt: "Die heutige Zeit ist eine gefährliche Zeit für nationalsozialistische Strömungen. Ich glaube, dass es auf die Herzensbildung der Menschen ankommt, eine Wiederholung zu verhindern. Ich lehre meine Kinder, dass jede Form von Gewalt abzulehnen ist."

Nach dem Rundgang bot eine Ausstellung im alten Rathaus mit Fotos jüdischer Familien aus Gerolstein den Rahmen für ein  Abschlussgespräch zum Thema "Wie kann das Andenken an die verfolgten Gerolsteiner Juden dauerhaft gewahrt werden?" Klaus Heller vom Forum Eine Welt forderte: "Die Geschichte der Juden muss ergänzt und aufgearbeitet werden." Böffgen schlug vor, dass Zeitzeugen ihre Erlebnisse dokumentieren. Von Bürgern kam die Idee, "Stolpersteine" vor den Häusern der Juden zu errichten, wie es in fast 150 Städten in Deutschland schon geschehen ist. 

Stadtbürgermeister Karl-Heinz Schwartz (CDU) sagte seine Unterstützung für ein Andenken an die jüdischen Mitbürger zu: "Sie haben unsere Geschichte mit gestaltet. Es gab eine gute Gemeinschaft und es ist schwer verständlich, was da geschehen ist." 

Trierischer Volksfreund, 12. 11. 2004

Fotos vom Stadtrundgang

Text: Christoph Stehr: Die jüdische Bevölkerung in Gerolstein bis 1945

Gerolsteiner Juden (fotografiert von Fredy Lange)

Schaubild "Gerolsteiner Juden"

Stadtrundgang gegen das Vergessen (Karl-Heinz Böffgen)