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"Für Frieden muss man singen und beten"

GEROLSTEIN. Geschichte plastisch dargestellt: Das Schicksal der jüdischen Familie Levy aus Gerolstein stand im Mittelpunkt einer vom Verein "Forum Eine Welt" auf die Beine gestellten Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Reichspogromnacht.

Von unserer Mitarbeiterin

GABI VOGELSBERG

Unscheinbar, aber dennoch da: Eine Gedenktafel am Alten Rathaus erinnert an das Schicksal der Gerolsteiner Juden.
Foto: Gabi Vogelsberg

"Ich hab die alle gekannt, die da auf dem Familienstammbaum stehen. Das bringt einen schon in Aufruhr", sagte Cornelia Gerhards. Die 81-jährige Zeitzeugin war eine von 30 Zuhörern der Gedenkveranstaltung im Alten Rathaus in Gerolstein.

Sie erinnerte sich: "Moritz Levy hat im Haus von Pater Böffgen gelebt, und der hat die Briefe der Familie Levy dann später ins Ausland vermittelt."

"Stets gutes Verhältnis zu unseren Nachbarn"

Eine weitere Zeitzeugin im Publikum war Elisabeth Schend. Ihre Familie hat 1930 ein Haus von Moritz Levy in der Dellstraße gekauft. Die 82-Jährige berichtete: "Wir hatten immer ein gutes Verhältnis mit unseren Nachbarn. Egal ob Juden oder nicht. Frau Levy hat meiner kranken Mutter immer Rindfleischsuppe gebracht."

Der damalige Postbote habe ihrem Vater verbieten wollen, freundlich zu den Levys zu sein. Seine Aufforderung, "Juden grüßt man nicht", habe ihre Familie aber stets ignoriert.

Die Erzählungen der beiden Zeitzeuginnen gingen unter die Haut. Auch Eileen Nowak aus Kelberg. Die 42-Jährige meinte: "Ich bin in Gerolstein zur Schule gegangen, und im Unterricht wurden nie die Schicksale der Juden, die hier gelebt haben, thematisiert. Schade."

Marianna Bühler vom Emil-Frank-Institut Wittlich hat sich intensiv mit dem Leben der Familie Levy beschäftigt. Sie referierte: "Moritz Levy wurde 1868 in Welschbillig geboren und dann von entfernten Verwandten in Hohenfels, die dort ein Geschäft und einen Viehhandel betrieben, adoptiert." 1912 heiratete Moritz Levy die zwei Jahre jüngere Lisa.

Sie bekamen drei Kinder: Hugo, Emmy und Hilde. Emmy lernte Bühler in Wittlich kennen, als diese ihre Familiengeschichte recherchierte. Emmy Gottdiener geborene Levy schrieb ihre Geschichte auf.

Nach dem Ersten Weltkrieg zog die Familie nach Gerolstein. Der Vater erwarb den Lebensunterhalt als Hausierer, der über die Dörfer zog. Er sei im Gerolsteiner Land sehr beliebt gewesen, weil er sehr freundlich und zurückhaltend gewesen sei. Die Zeitzeuginnen Schend und Gerhards nicken zustimmend.

Der kleine und schmächtige Mann wurde 1941 zur Zwangsarbeit im Rockeskyller Steinbruch verpflichtet. Bühler zeigte davon ebenso Bilder wie vom Besuch Emmy Gottdieners in Wittlich. Am 27. Februar 1943 wurden Moritz und Lisa Levy deportiert - wahrscheinlich nach Auschwitz, wo sie umkamen. Ihre drei Kinder gingen nach Israel. Mittlerweile sind auch sie gestorben. Auf dem Friedhof in Haifa werden auch Moritz und Lisa Levy namentlich auf dem Grabstein ihrer Tochter Emmy Gottdiener erwähnt. Auch davon zeigte Bühler ein Foto, auf dem die Enkelin Daphne das Grab pflegt. Die Nachkommen der Levys leben in Israel. Die Urenkelin habe erst kürzlich in Haifa geheiratet.

"Wir wollen mit dieser Veranstaltung aller Opfer der nationalsozialistischen Rassenpolitik gedenken", erklärt Mitorganisatorin Christa Karoli. Sie wertet die Reichspogromnacht "als öffentliches Zeichen dafür, dass die Nationalsozialisten keine Hemmungen mehr in der Verfolgung der Juden kannten". Doch auch in Gerolstein hätten sich viele gegen das Regime gestellt und manchem Juden im Verborgenen geholfen.

Von etlichen Zeitzeugen angesprochen worden

Beim Aufhängen der Plakate, mit der die Veranstaltung publik gemacht wurde, sei sie von etlichen Zeitzeugen angesprochen worden, erzählte Karoli.

Von einem Zeitzeugen in Frankfurt erzählte die Geschichte, die Julia Prokoph vortrug. Sie las ein Stück aus "Mein Jahrhundert" von Günther Grass vor.

Für den musikalischen Rahmen der Gedenkfeier sorgten der Israeli Daniel Botmann (Gesang) und der Moldawier Isak Solomon am Klavier. Überwiegend aufrüttelnde und nachdenklich stimmende Lieder brachten sie zu Gehör. Dennoch: Zum Abschluss sang Daniel Botmann über Liebe und Frieden. Der junge Israeli meinte: "Frieden kann man nicht kaufen. Dafür muss man singen und beten."

Trierischer Volksfreund, 11. 11. 2003

     
   
  Dr. Marianne Bühler
 
 
   
  Julia Prokoph