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Der IS ist nicht vom Himmel gefallen

Der Nahostexperte A. M. Husseini über die Folgen des syrischen Bürgerkriegs für den Libanon

Der Libanon steht nach Auffassung des Prümer Autors und Sozialwissenschaftlers Abdel Mottaleb El-Husseini vor einer Katastrophe. In einem Referat, das er auf Einladung des Forums Eine Welt vor einem interessierten Publikum in Daun hielt, nannte er den Zustrom syrischer Flüchtlinge eine große Herausforderung für das kleine Land, das man früher auch die „Schweiz des Nahen Ostens“ nannte: 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge leben zurzeit im Libanon. Das sind fast 40% der Gesamtbevölkerung. Die Wirkungen auf den Alltag im Zedernstaat seien verheerend: Die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und erschwinglichem Wohnraum sei kaum noch gewährleistet, das Schulsystem und das Gesundheitswesen seien völlig überfordert. Hätte Deutschland einen gleichhohen Prozentanteil von Flüchtlingen an der Gesamtbevölkerung, wären – mit etwa 30 Millionen Flüchtlingen - die Kapazitäten sicherlich erschöpft. Nur ein kleiner Teil, nämlich nur die Menschen, die es sich finanziell leisten können – komme nach Europa. Die meisten Flüchtlinge, die in der Region eine vorübergehende Bleibe gefunden haben, sähen für sich im Nahen Osten keine Zukunft mehr. Die Kinder wüchsen teilweise ohne Schulbildung auf, und Jugendliche fänden keine Berufsausbildung – ideale Voraussetzungen für die Rekrutierungstätigkeit des IS.

Schon einmal – zwischen 1975 und 1990 – habe die massive Zuwanderung von Flüchtlingen zu einem blutigen Bürgerkrieg geführt, als hunderttausende aus Israel vertriebene Palästinenser in den Libanon strömten. Die libanesische Verfassung sieht die proportionale Besetzung der wichtigsten Staatsorgane durch Vertreter der 18 christlichen bzw. muslimischen Religionsgemeinschaften vor. Der Zustrom überwiegend muslimischer Palästinenser brachte diese prekäre Machtbalance zum Einsturz. Ein jahrelanger Bürgerkrieg mit fast 100.000 Toten war die Folge.

Auch der gegenwärtige Flüchtlingsstrom aus Syrien spalte die libanesische Gesellschaft: Assad-Gegner unter den Flüchtlingen verbündeten sich mit den Anhängern des ehemaligen sunnitischen Ministerpräsidenten Hariri, Assad-Freunde mit der Hizbollah, der mächtigen Schiiten-Miliz. Der Bombenanschlag der IS am 12. November in einem schiitischen Viertel Beiruts, dem über 40 Menschen zum Opfer fielen, demonstriere die tödliche Gefahr, die von der derzeitigen Situation ausgehe. Dazu komme, dass die finanziellen Mittel der UNO zur Unterstützung der Flüchtlinge begrenzt seien. Von den reichen Golfstaaten und Saudi-Arabien sei keine Hilfe zu erwarten, obwohl diese Länder eine große Verantwortung für die Fluchtbewegung trügen, da sie mit Milliarden Petrodollar an der Finanzierung des IS beteiligt seien und alles täten, um die Lage in der Region zu destabilisieren.

Der IS, erklärte Husseini, sei eine kriminelle Vereinigung ohne klares Programm, die die Lehren des Korans willkürlich im Sinne ihrer gewaltorientierten Ziele auslege und nicht nur Christen und Juden, sondern alle Muslime, die sich nicht den kruden Vorstellungen des IS beugen, als „Abtrünnige“ betrachte, die vernichtet werden müssten. „Der IS ist nicht vom Himmel gefallen“, sagte Husseini. Der „Islamische Staat in Irak und Syrien“ (IS / arabisch Daesh), dessen Wurzeln im Terrornetzwerk der al-Qaida liegen, beherrsche inzwischen 20% der Landfläche Iraks und die Hälfte Syriens. Er verdanke seine Entstehung der Zerstörung der staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen des Irak durch die USA.

Die im Westen als Geschäftspartner und Stabilitätsfaktor geschätzte Saudi-Monarchie unterstütze insgeheim den IS nicht nur finanziell; die reaktionäre islamische Strömung des Wahhabismus, die „Staatsreligion“ des saudischen Regimes, sei auch die ideologische Grundlage des IS. Im syrischen Bürgerkrieg vertrete der IS objektiv die Interessen Saudi-Arabiens im Streit mit dem Iran um die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten.

Die Lösung des libanesischen Flüchtlingsproblems sei nur möglich, wenn die Konflikte im Nahen Osten gelöst würden, also in erster Linie der syrische Bürgerkrieg, der Krieg im Jemen, vor allem aber der israelisch-palästinensische Konflikt. Wenn dies nicht erfolge, würden auch in Zukunft die Flüchtlingsströme nicht verebben. Der Westen könne zu einer Lösung der Konflikte beitragen, wenn er den Waffenexport stoppen und sich ernsthaft für Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien – unter Einschluss Russlands, aber auch des Irans und des Assad-Regimes - einsetzen würde. Solange dies nicht geschehe, müsse der Eindruck entstehen, dass der Westen wesentliche humanitäre Anliegen wirtschaftlichen Interessen und machtpolitischen Ziele opfere.